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Bürgermeister Willi Rehbein 70er Jahre

Widerstand und Ergebung – Teil 1


Ein verhängnisvoller Beschluss von 1947


Klein-Auheim. Es begann schon 1947, das Problem mit der Eingemeindung von Klein-Auheim nach Hanau. Damals wurde von der Hessischen Staatskanzlei eine Kommission eingesetzt, die überprüfen sollte, wie man die über 2.600 teils sehr kleinen Kommunen zu größeren Einheiten zusammenlegen könnte. Man erhoffte sich dadurch eine sinnvollere Verteilung der finanziellen Mittel und einen Abbau von vielen Verwaltungsstrukturen. Irgendwie hatte da aber keiner richtig Lust zu und so kam es, dass in den nächsten zwanzig Jahren nichts geschah.


Ab 1968 wurden die Probleme der kleinen Gemeinden aber immer größer, sodass die Regierung jetzt auf freiwillige Zusammenschlüsse hoffte und dazu auch kräftig in die Kasse griff, um die Attraktivität zu steigern. So halbierte sich innerhalb von zwei Jahres die Gemeindezahlen in Hessen, was damit das Bundesland mit der größten Zahl an freiwilligen Zusammenschlüssen wurde.


Die restlichen Gemeinden mussten jetzt mit erhöhtem Druck zum Zusammenschluss gedrängt werden. Dazu gehörten zwei von unbeugsamen linksmainischen Hessen bevölkerte Dörfer. Die Steinheimer und Klein-Auheimer sollten nach dem Vorschlag der Obrigkeit fusionieren. Nach allem, was man so von Zeitzeugen hört, scheiterte das an den Barrieren in den Köpfen: „Mit denen nie!“


Darauf beschloss der zuständige Ausschuss des hessischen Landtages: Steinheim und Klein-Auheim werden von Hanau geschluckt. In Klein-Auheim gab es zwei unterschiedliche Reaktionen. Die Mehrheitsfraktion im Gemeinderat (SPD) beschloss am 30. Oktober 73, mit Hanau über einen freiwilligen Zusammenschluss zu verhandeln, um möglichst viele günstige Bedingungen für den Ort zu erhalten (Hallenbad, Schulerweiterung, Mehrzweckhalle, Altenheim, Förderung der Fasanerie usw).


Dagegen schlossen sich andere Klein-Auheimer (mehrheitlich CDU) zu einer Bürgerinitiative zusammen, die die Eigenständigkeit auf jeden Fall erhalten wollte mit dem Hauptargument der noch guten wirtschaftlichen Lage des Ortes.


Ab diesem Zeitpunkt gab es Zoff im Dorf, mit zum Teil gewalttätigen Auseinandersetzungen.


Fortsetzung im Teil 2: Sachbeschädigung und indirekte Morddrohung

Widerstand und Ergebung – Teil 2

Sachbeschädigung und indirekte Morddrohung

Klein-Auheim. Im ersten Teil der Geschichte vom Widerstand gegen die Eingemeindung nach Hanau wurde deutlich, dass eigentlich jeder Widerstand zwecklos war, weil das Land die Gebietsreform unbedingt durchsetzen wollte. Die eine Gruppe (um Bürgermeister Rehbein) in Klein-Auheim wollte sich ergeben, aber in Verhandlungen Investitionen herausholen. Die andere Gruppe (eine Bürgerinitiative) war strikt gegen jede Vereinigung und berief sich vor allem auf die wirtschaftliche Stärke des Ortes.

Am Donnerstag, dem 8. November 1973 kam es dann zu jener legendären Versammlung in der TSV-Halle, zu der die Bürgerinitiative eingeladen hatte. Nach der örtlichen Presse kamen 1.200 Menschen zusammen, nach einer anderen Pressemitteilung sogar 1.500. Es ging sehr hoch her mit Reden, Diskussionen und Geschrei. Mehrheitlich wurde die Meinung vertreten, dass Klein-Auheim selbständig bleiben müsse. Wenn es dennoch zur Eingemeindung nach Hanau käme, dann wäre das auf jeden Fall besser, als mit Steinheim zu fusionieren. Die Versammlung endete mit der Aussicht, dass man noch bis Dezember seine Ansichten in Wiesbaden im Anhörungsverfahren deutlich machen könne. Bis dahin sollten sich in die gestartete Unterschriftenaktion noch viele eintragen.


Die Bürgerinitiative fühlte sich nach der Versammlung bestärkt und rief zum Sturm auf Wiesbaden auf, über den im dritten Teil berichtet wird.

Brigitte Bös, geborene Rehbein schildert den Abend, als ihr Vater von der Versammlung heimkam:


„Ja und dann kam es zu der besagten Sitzung, zu der die Gegner der Eingemeindung in die Turnhalle aufgerufen hatten. Da waren auch frühere Freunde von meinen Eltern dabei, zum Beispiel der Herr Schiron war da an vorderster Front. Das waren ganz dicke Freunde von meinen Eltern und diese Freundschaften sind durch die Auseinandersetzungen kaputt gegangen. Meine Mutter und ich saßen zu Hause und hatten ein mulmiges Gefühl.


Und irgendwann kam dann mein Vater heim. Er war völlig aufgelöst, es hatte ihn emotional sehr mitgenommen. Wir hatten schon Angst, dass er noch mal einen Herzinfarkt kriegt, weil er wirklich. total aufgelöst war. Und am nächsten Morgen ist meine Mutter raus und da war das Hoftor rausgerissen, Blumen abgeknickt und Bäume umgerissen. Das war dann schon sehr bedrohlich, weil wir ja nicht wussten, wie es weiter geht. Wir haben Angst gehabt, dass einer von uns tätlich angegriffen wird. Tatsächlich gab es auch Drohbriefe gegen meinen Vater.


Deshalb durfte ich ab sofort als 15jährige nicht mehr alleine durch den Ort gehen. Das war für mich natürlich ganz schlimm, weil ich nirgends mehr alleine hindurfte, auch abends zur Gymnastik in die TSV-Halle. Ich wurde dann jedes Mal abgeholt oder hingebracht, wenn es dunkel war. Zum Reiten in den Reitstall wurde ich von meiner Mutter mit dem Fahrrad abgeholt, weil meine Mutter keinen Führerschein hatte oder von meinem Vater mit dem Auto.


Dann wurde ich auch öfter mal angesprochen, in dem Sinne „Naja was dein Vater so will…“ Das war dann für mich auch schlimm, weil ich ja nichts damit zu tun hatte, es hat mich in meinem Alter natürlich überhaupt nicht interessiert.“


Heute hätte es zu diesem Thema einen Shitstorm im Internet gegeben mit wüsten Beschimpfungen und Morddrohungen. Das war natürlich 1973 in Klein-Auheim undenkbar – sollte man meinen. Gisbert Schließmann, der damals im Gemeindevorstand war, erzählt von seinem persönlichen Nachspiel. Er fand kurz darauf in seinem Briefkasten eine Postkarte. Auf dieser stand geschrieben: „Wenn dein Papa noch leben würde, dann würde er dich mit dem Hackebeil klein machen.“ Man bedenke, dass sein Vater Metzgermeister gewesen war.

Widerstand und Ergebung – Teil 3

Sturm auf Wiesbaden

Klein-Auheim. Nach der Bürgerversammlung am 8.11.1973 und den tätlichen und verbalen Angriffen im Dorf begann die Bürgerinitiative „Bürger kämpfen für ihre Gemeinde“ verstärkt, Unterschriften zu sammeln, um sie der Landesregierung in Wiesbaden zu übergeben. Inzwischen stieg der Druck auf Kommunalpolitiker, die eine Verhandlungslösung befürwortet hatten. Am 29. November 1973 tagte der Gemeinderat und hob den Beschluss über Verhandlungen mit der Stadt Hanau auf. Zwei SPD-Vertreter (gebürtige Klein-Auheimer) stimmten mit der CDU-Opposition folgendem Beschluss zu: „Die Gemeindevertretung unterstützt vollinhaltlich die Resolution und die Argumentation der Bürgerinitiative zur Erhaltung der Selbständigkeit der Gemeinde Klein-Auheim.“

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Bürgerinitiative 3.240 Unterschriften für ihre Resolution erhalten. Das war eine satte Mehrheit von 73% der Klein-Auheimer Wahlberechtigen. Damit wollte man nun nach Wiesbaden ziehen und die Landesregierung zum Einlenken bringen. Es wurde ein Bus gechartert und eine Delegation zusammengestellt. Am 12. Dezember ging die Fahrt nach Wiesbaden zum Innenministerium los.

Sie wurden tatsächlich dort empfangen vom Vorsitzenden des Ausschusses für Verwaltungsreform Gerhard Sprenger. Er hörte sich die Argumente der Klein-Auheimer an und nahm die Listen mit den 3.240 Unterschriften entgegen. Damit waren sie entlassen und fuhren wieder zurück. Wie sich später herausstellte, waren die Aktion und die Unterschriften wirkungslos. Letztlich wurden die Verhandlungen über Vergünstigungen beim Anschluss an Hanau abgebrochen und Klein-Auheim wurde am 1. Juli 1974 ein Stadtteil von Hanau.

Für Klein-Auheim gab es aber noch ein Nachspiel, das 50 Jahre später sichtbar geworden ist:


Ein Mitglied des Gemeindeparlamentes war in diesen turbulenten Zeiten die 36jährige Ingrid Ehmes. Sie war als CDU-Mitglied genauso gegen eine Eingemeindung wie die Vertreterinnen und Vertreter der Bürgerinitiative. Von den Verhandlungen der SPD über Zugeständnisse von Hanau bei einer Eingemeindung hielt sie auch nicht viel. Vielleicht hat ihr aber schon damals die Forderung eines Altenheimes gefallen. Jedenfalls begleitete diese Idee ihre folgende Zeit in der Kommunalpolitik bis hin zur Ortsvorsteherin und darüber hinaus. Nach 50 Jahren wird die Forderung nach einem Altenheim nun gebaut und steht kurz vor seiner Vollendung.

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